Letztens habe ich für einen Wettbewerb eine One-Shot-Story geschrieben:
Das
Buch der Lügen – One Shot Story
Mein
ganzer Körper zitterte. Ich nahm die Scherbe der zerschlagenen Vase in die Hand
und betrachtete mein Spiegelbild. Was war bloß aus mir geworden? Mein glattes
Haar hing schlaff und leblos hinunter, meine dunklen Augen hatten jeglichen
Glanz verloren. Meine Haut war blass und im schwachen Licht sah ich krank aus.
Mein langes Kleid war am Saum zerrissen und die Träger waren verrutscht. Ich
kniete mich auf den kalten Betonboden fing an zu weinen. Meine Tränen fühlten
sich warm und feurig an. Sie waren nicht zu stoppen. Wie mein früheres Ich,
bevor ich in das tiefe Loch der Trauer und Einsamkeit hinabstürzte. Ich hatte
alles verloren. Meine Freunde und den Jungen, den ich liebte. Meine Eltern
mieden mich, so gut es ging. Ich bedeutete ihnen nichts, für sie war ich wie
ein lästiger, nicht wegzubekommender Ausschlag. Ein nichts. Es war ihnen egal,
wie es mir ging. Es war ihnen egal, dass ich betteln gehen musste, um an meine
tägliche Dosis Heroin zu kommen. Es war ihnen egal, dass ich mich jedes
Wochenende ins Koma trank. Sie verschlossen alle die Augen vor der Wahrheit.
Ich tat es eine Zeit lang auch, doch an dem heutigen Tag, hier und jetzt,
beschloss ich, das Buch der Lügen zu schließen, für immer. Mit einem Schnitt in
meine Pulsadern nahm ich meinen Eltern, meinen Freunden, meiner Umgebung, die
Last, mich jeden Tag ertragen und ignorieren zu müssen. Das Blut tropfte aus
dem Boden. Aus wenigen Tropfen wurde eine ganze Lacke, die mein Kleid jedoch
aufsog. Ich schloss meine Augen und atmete tief durch. Mein ganzes Leben zog
noch ein letztes Mal wie ein Kurzfilm an mir vorbei: Meine Kindheit, mein
bester Freund, den ich schon mein ganzes Leben lang kannte und in den ich mich
auch verliebt hatte, meine beste Freundin, die wie eine Schwester für mich war,
die ganzen verrückten Aktionen, die wir durchgemacht hatten und schließlich die
Zeit, wo sich alles änderte, sich jeder von mir abwandte und ich nach und nach
abstürzte. Niemand hielt mich auf, niemand wollte mich vom tiefen Abgrund der
Verzweiflung bewahren, niemand nahm meine Hand, um mich hinaufzuziehen. Niemand
war für mich da, in dem Augenblick, wo es mir am schlechtesten ging. Ich
spürte, wie mich jegliche Lebenskraft, jeglicher Wille, zu kämpfen, verließ. Ein
letztes Mal schlug ich die Augen auf, um einen Blick auf das Foto von meinem
besten Freund, dem Jungen, den ich liebte, zu werfen, bevor sich mein Körper
von dieser Welt verabschiedete und meine Seele für immer in das Reich der Toten
hinabstieg und dort Stück für Stück verblasste.
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